Die drei Häuser Prinzenstraße 86 bis 94 in Duisburg-Duissern, fallen wortwörtlich „aus der Reihe“. Das Mittelgebäude ist aus der Häuserflucht nach hinten gerückt und hat damit Platz für eine Grünfläche mit Bäumen geschaffen. Aber auch die Aufmachung der Gebäude unterscheidet sich bei näherem Hinschauen von seinen Nachbarn.
Die drei Bauten sind nicht miteinander verbunden, aber einheitlich gestaltet. Alle drei haben eine weit vorkragende Überdachung. Das Dach ist von der Straße aus nicht zu sehen. Die Fronten sind wie ein Raster gestaltet: Die Fenster sind sanft orange gerahmt und wirken über die Geschosse hinweg wie ein senkrechtes Band. Durch sie und die weißen, eingebauten Balkons wird die graue Fassade zu waagerechten Bändern, die sich über die Fronten erstrecken. Nur die verglasten Treppenhäuser im Mittelbau unterbrechen dieses Muster und machen die Unterscheidung der darin untergebrachten Hausnummern88, 90 und 92 sichtbar. Ebenso lässt die Trennung der Loggien die Unterteilung der Wohnungen erkennen. Diese Art der Rasterfassade ist ein typisches Merkmal der sogenannten Ersten Nachkriegsmoderne, dem prägenden Baustil der 1950er Jahre in Deutschland.
Vergleicht man das Ensemble mit seinem direkten Nachbarn zur Linken, Nr. 102, erkennt man, dass sie über unterschiedlich viele Geschosse bei gleicher Höhe verfügen. Die Nr. 102 ist ein Altbau und hat höhere Decken. Sie wurde 1909, wenige Jahre nach Anlage der Prinzenstraße erbaut. Daher rührt auch der Sprung bei den Hausnummern: Als das Haus 102 entstand, war geplant, dass die Häuserreihe mit solchen Einzelhäusern geschlossen wird. Doch diese Bebauung erfolgte nicht. Die Grundstücke zwischen 102 und 82 blieben leer und wurden als Kleingartenanlage genutzt.
Erst im Zuge des Wiederaufbaus wurde der Wohnkomplex mit den Hausnummern 86 bis 94 (und das Nachbarhaus. die Nr. 84) errichtet und die Baulücke gefüllt. Bauherrin war die Gemeinnützige Baugesellschaft Aktiengesellschaft (Gebag A.-G.), die am 15. Juni 1953 ein Baugesuch einreichte. Der Bau von Wohnanlagen durch Baugesellschaften, oftmals mit dem Ziel Bürger*innen in Eigenheime zu bringen, war typisch für die 1950er, denn Wohnraum wurde dringend benötigt. Daher förderten Stadt, Land und Bund den Bau nach Kräften. Beispielsweise gab es die Möglichkeit Ausnahmen von der Bauordnung per „Dispensbeschluss“ zu beantragen, um Bauverfahren zu beschleunigen. Das Bauaufsichtsamt der Stadt prüfte dann die Ausnahmewünsche und Entwürfe. Für die Prinzenstraße 86 bis 94 gab es beispielsweise vor, dass die seitlichen Gebäude die Traufhöhe ihrer anliegenden Nachbarn übernehmen mussten, die sonstigen Besonderheiten aber überwiegend tragbar waren. Nur das geplante Garagenhaus für die Anwohner*innen wurde abgelehnt, da es „die Vorderfront des Gebäudeblocks (…) zu sehr beeinträchtigt“. Es ist heute nur noch in der Bauakte zu entdecken.
In der Bauakte ist auch eine Baubeschreibung vom 11. Mai 1953 mit Informationen über Bautechnik und Materialien zu finden: „Die Gebäude werden als Stahlbetonskelettbau mit Feldausmauerung mit Ytongsteinen und Ytongplatten hergestellt. Fundamente in Stampfbeton. Das zurückgesetzte Dachgeschoss des Mittelbaus in Eisenskelettbau.“ Die Skelettbauweise und Nutzung von Beton waren in der Nachkriegszeit nicht nur schnell umsetzbar, sondern auch hoch modern. Das Stahlskelett versprach eine sichere Statik und der Porenbeton hervorragende Dämmeigenschaften. Auch im Innenraum wurden zeitgemäße Materialien verwendet, wie der typische „Mipolamhandlauf“ oder „Edelputz“ anstelle der üblichen Tapeten. Es wurden außerdem Fahrrad- und Waschkeller samt Trockenräumen eingeplant, sowie eine elektrische Müllschluck-Anlage. Zudem wurde jede Wohnung mit Küche und Badezimmer ausgestattet. Und die „elektrische Installation erfolgte[e] in Imputzmaterial“, wodurch für Strom und „ausreichend Beleuchtung“ gesorgt war.
Die Annahme, die Bewohner*innen des Neubaus verfügten über Waschmaschine und Auto und richteten sich mit Einbauküchen ein, verweisen auf den neuen Wohlstand der Nachkriegsgesellschaft und den gestiegenen Erwartungen an modernes Wohnen. Es wird daran aber auch deutlich, welches Publikum für die Wohnanlage erwartet wurde. Denn auch in der Nachkriegszeit war Duissern ein Stadtteil mit gehobenerem Anspruch.
Es liegt daher nahe, dass die Wohnanlage mit ihren drei Baukörpern, dem erhöhten und zurückversetzten Mittelbau und der einheitlichen Fassadengestaltung samt Grünanlage und Fassadenschmuck absichtlich an eine barocke Schlossarchitektur erinnert. Geht man diesem Vergleich nach, wäre das Garagenhaus dort gestanden, wo bei barocken Schlössern die Brunnenanlage steht –beides Statussymbole ihrer Zeit. Dadurch passt sich die Wohnanlage in ihrem Anspruch gut zwischen seine Nachbarn ein, im bürgerlich-gehobenen Duissern, in der Prinzenstraße.
Autorin: Annika Enßle
Zum Weiterlesen
Roman Hillmann: Die Erste Nachkriegsmoderne. Ästhetik und Wahrnehmung der westdeutschen Architektur 1945–63. Petersberg 2011.
Günther Schulz: Wiederaufbau in Deutschland: die Wohnungsbaupolitik in den Westzonen und der Bundesrepublik von 1945 bis 1957. Düsseldorf, 1994.
Jan-Pieter Barbian / Ludger Heid (Hrgs.): Zwischen Gestern und Morgen. Kriegsende und Wiederaufbau im Ruhrgebiet. ORT; JAHR.
– in der Bibliothek des Stadtarchives einsehbar unter der Bibliothekssignatur R1390.
Wolfgang Sonne / Regina Wittmann (Hrgs.): Städtebau der Normalität. Der Wiederaufbau urbaner Stadtquartiere im Ruhrgebiet. Berlin, 2018.
– in der Bibliothek des Stadtarchives einsehbar unter der Bibliothekssignatur W1134.
Hermann Gödde / Tilman Harlander / Katrin Hater: „Siedeln tut Not“ – Wohnungsbau und Selbsthilfe im Wiederaufbau. Aachen, 1992.
– in der Bibliothek des Stadtarchives einsehbar unter der Bibliothekssignatur Z3-43.
Gerd Schörken: Wiederaufbauplanung in Duisburg nach dem Zweiten Weltkrieg. 1945 – 1960. Dissertation TU-Dresden, Duisburg 1993.
– in der Bibliothek des Stadtarchives einsehbar unter der Bibliothekssignatur S2975.